Wie wir Lebenschancen in Burkina Faso schaffen

Geschichte von Olivia, eines von vielen Mädchen in Burkina Faso mit den gleichen Problemen

Olivia-Story Titelseite

Olivia hatte nach der Wundheilung der Beschneidung starke Verwachsungen mit Schmerzen. Davon wurde sie durch eine Re-Operation befreit. Ein Jahr später wurde sie mit nur 14 Jahren schwanger. Der Kindsvater hat die Vaterschaft geleugnet. Der eigene Vater hat Olivia daraufhin aus der Familie verstoßen. Sie ist dann zu einer der Aufklärerinnen geflüchtet. Diese hat eine Tante des Mädchens um dessen Aufnahme gebeten. Die Tante war dazu bereit, aber nur bis zur Geburt des Kindes. Danach hat die Aufklärerin mit den Eltern von Olivia gesprochen und dringend um ihre Aufnahme mit dem Enkel gebeten. Der Vater war einverstanden, hat sich aber geweigert, nochmals Schulkosten für seine Tochter zu zahlen, die gerne die Schule abschließen wollte. Möglich wurde ihr das nur durch Unterstützungen ihrer Mutter und von „Lebenschancen“. Auf der Basis ihrer schmerzlichen Erfahrungen hielt sie auch Aufklärungsvorträge in ihrer Schule und einigen Dörfern. (Foto: Ass.F.D., Burkina Faso)

Aufklärung zur Vermeidung früher und zu vieler Schwangerschaften

1999-2020 durchgeführte Maßnahmen

Aufklärungsmaßnahmen in diesen Bereichen sowie zur Prävention von HIV/Aids haben wir in Burkina Faso erstmals in den Jahren 2000/2001 in der Stadt Koupéla gefördert, und zwar speziell für Jugendliche und junge Erwachsene. Basis war der Bau eines „Jugendgesundheitszentrums“ mit der Ausbildung von Aufklärer/innen und der Bereitstellung von Verhütungsmitteln.  Dieses Zentrum bietet bis  heute entsprechende Dienste, die aber überwiegend aus der internationalen Entwicklungshilfe und zum Teil vom burkinischen Gesundheitswesen finanziert werden.

2005-12 wurden Aufklärungsmaterialien für 40 Mittelschulen (7.-10. Klasse) im Westen des Landes und in der Hauptstadt Ouagadougou gekauft, außerdem ein Generator und ein Fernsehgerät für Filmvorführungen zur Aufklärung in Dörfern. Die Materialien behandeln auch andere Themen, die für die Jugendlichen wichtig sind, wie ein längerer Schulbesuch auch für Mädchen und die Entwicklung von beruflichen Zielen. Die Materialien, die 2003 mit Jugendlichen in Burkina Faso entwickelt wurden, finden Sie hier.

2013-2019 haben wir – zusammen mit dem Deutschen Frauenring – Informationen über die Probleme früher und zu vieler Schwangerschaften sowie ihre Vermeidbarkeit in 50 Dörfern im Nordwesten des Landes gefördert, in denen auch Maßnahmen zur Überwindung der Genitalverstümmelung von Mädchen durchgeführt wurden. Dabei wurden auch Schulen einbezogen und z.T. Schüler/innen für entsprechende Beratungen von Gleichaltrigen ausgebildet. Außerdem wurden am Hauptort in den letzten Jahren Beratungen einer Hebamme über Möglichkeiten der Verhütung finanziert, die auch die Pille und Kondome abgeben konnte.
Diese Projekte konnten wegen terroristischen Anschlägen, die es seit einigen Jahren in mehreren Regionen des Landes gibt, und einer weiterhin hohen Gefährdungslage leider nicht fortgesetzt werden.

Schüler/innen einer Mittelschule in der Haupstadt bestaunen die gerade eingetroffenen Aufklärungsmaterialien.
(Foto: AMPO, Burkina Faso)
Eine „Marie Stopes Lady“ mit einer Packung erwünschter Verhütungsmittel auf dem Weg in entlegene Dörfer im Südwesten von Burkina Faso
(Foto: MSI Reproductive Choices/Sophia Garcia)

2020 haben wir einen mobilen Dienst von „Marie Stopes International“ unterstützt (s. vorhergehendes Foto). Dadurch konnten – trotz zeitweiliger Beschränkungen wegen der Corona-Pandemie – fast 700 Frauen und Männer in mehreren entlegenen Dörfern die erwünschten, oft länger wirksamen Verhütungsmittel erhalten, zu denen sie dort sonst keinen Zugang haben. 240 Frauen haben eine Dreimonatsspritze bekommen, davon die Hälfte zum wiederholten Mal. 290 Frauen hatten sich für die mehrere Jahre wirksamen Implantate unter die Haut entschieden, der Rest für sonstige Methoden. Einige Männer erhielten auf diesem Wege Kondome.

Diese Dienste gibt es nur in entlegenen Dörfern einiger Regionen. Ansonsten sollten Verhütungsmittel für Frauen in den Gesundheits-  stationen erhältlich sein und das seit Juli 2020 sogar kostenlos (bei schon immer starker Subventionierung, insbesondere durch die amerikanische Entwicklungshilfe). In vielen kleineren Dörfern gibt es aber keine Gesundheitsstationen, und die nächsten sind oft viele Kilometer entfernt, die die meisten Frauen zu Fuß zurücklegen müssen. Oder es gibt stundenlange Wartezeiten für Beratungen, die sich die Frauen mit mehreren Kindern, Haushalt und Arbeiten in der Landwirtschaft kaum leisten können. Andererseits gibt es fast überall Gerüchte, dass die Verhütungsmittel zu Unfruchtbarkeit und schweren Gesundheitsschäden führen. Diese werden von Kreisen, die gegen deren Verwendung sind, gezielt verbreitet.

Seit 2021 geförderte Maßnahmen

Seit 2021 finanzieren wir Aufklärungsprojekte in fünf neuen Dörfern und den drei dortigen Schulen mit Mittelstufe (7.-10. Klasse) sowie in nun  fünf städtischen Schulen im Nordosten des Landes. In die dortigen Schulen kommen kontinuierlich Kinder der Binnenflüchtlinge infolge der Terrorattacken der angrenzenden Regionen hinzu, die dann auch in den Sexualkunde-Unterricht und die Beratungen durch Mitschüler/innen einbezogen werden.

Erläuterung der Verwendung des Kondoms für Frauen in einem der neuen Projektdörfer. Die meisten, insbesondere der analphabetischen Frauen bevorzugen aber die Verhütungsimplantate oder die Dreimonatsspritze.
Schulung von Männern eines anderen neuen Dorfes, die in ihrem Umfeld über die Vorteile und Möglichkeiten der Familienplanung und die Erhält- lichkeit der Mittel informieren wollen. (Fotos: AHK, Burkina Faso)

In den Schulen wurden aus den 7.-10. Klassen jeweils einige Schülerinnen und Schüler für Aufklärungsgespräche und Beratungen ihrer  Klassenkamerad/innen ausgebildet und mit bebilderten Informationsmaterialien ausgestattet. In den städtischen Schulen wurden zudem acht Lehrer/innen für Sexualkunde-Unterricht ausgebildet. Dieser Unterricht ist nicht im Lehrplan vorgesehen und muss daher am schulfreien Mittwochnachmittag oder Samstag gesondert durchgeführt werden. Hier werden auch Mütter von Schülerinnen dieser Klassen zu Gesprächskreisen eingeladen, um erstmals etwas über die Veränderungen in der Pubertät und einen adäquaten Umgang mit den pubertierenden Kindern zu erfahren. Viele Mütter sind diesbezüglich sehr hilflos, nachdem sie das selbst auch nicht hatten.

Eine der im Rahmen des Projekts für Sexualkunde ausgebildeten Lehrer/-      innen erklärt den Schüler-Aufklärer/innen die Entstehung von Schwanger-   schaften anhand von Bildtafeln.
Viele Schüler/innen schmunzeln, als eine von ihnen erstmals Fragen zur Entstehung von Schwangerschaften beantwortet.
(Fotos: Y. Ouédraogo, Burkina Faso)

Das alles muss aber finanziert werden. Die dreitägigen Schulungen von Aufklärer/innen in den Dörfern oder Lehrer/innen für Sexualkunde-Unterricht durch Fachpersonal, das jeweils aus einer über 80 km entfernten Stadt kommen musste, müssen bezahlt werden, ebenso deren Fahrtkosten und die Verpflegung für alle in dieser Zeit sowie die benötigten Info-Materialien mit Bildern im Großformat. Etwaige Filmvorführungen mit dem Einsatz von Generatoren für die Stromerzeugung kosten Geld, ebenso ergänzende Vorträge von Gesundheitspersonal und die Berichterstattung mit Datenerfassungen bzw. die Projektleitung und Buchhaltung. Auch erhalten die Lehrer/innen und Schüler/innen für die Aufklärungsmaßnahmen ein kleines Honorar bzw. Taschengeld.

Schließlich ist die Ausbildung von Schüler/innen für die Aufklärung in jedem Jahr neu erforderlich. Von den im Vorjahr Ausgebildeten verlässt ein Großteil die Schule jeweils in ein bis zwei Jahren, und es kommt in jedem Jahr ein neuer Jahrgang dazu.

Näheres zu den Ergebnissen und Kosten einzelner Maßnahmen hier.

Bitte helfen Sie, dass wir die Arbeit in Burkina Faso fortsetzen und noch ausdehnen können, damit immer weniger Mädchen früh und ungewollt schwanger werden, es immer weniger Schulabbrüche wegen Schwangerschaften gibt und die Geburtenzahlen pro Frau sinken.

Zum Spendenkonto und der Möglichkeit von Online-Überweisungen kommen Sie hier.
Wenn Sie beim Verwendungszweck „BF“ angeben, geht die Spende in dortige Maßnahmen zur Aufklärung.

Schaffung und Verbesserung von Einkommen, insbesondere für Frauen

Parallel zu den Aktivitäten der Jahre 2013-19 hat eine österreichische Hilfsorganisation u.a. in 35 Dörfern unserer Projekte den Frauen geholfen, in der sehr trockenen Region der Sahelzone Bio-Gemüse anzubauen und vereinzelt auch Hühner- und Schweinezucht zu betreiben. Außer der Verbesserung der Ernährung der eigenen Familie, konnten die Frauen durch den Verkauf von Überschüssen auch ein eigenes Einkommen erzielen.

Seit 2021 werden in den neuen Projektdörfern von „Lebenschancen“ aus Sonderspenden ebenfalls Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährung und im Falle der Frauen oft erstmaligen Erzielung von Geldeinkommen gefördert. Dazu haben in jedem Dorf institutionalisierte Gruppen von 100 Frauen Kredite von 50 € pro Person erhalten und die Landwirtinnen und Landwirte verbessertes Saatgut für den Anbau von Mais, Reis, Bohnen und Sesam.

Außerdem haben alle fünf Dörfer einen Gemeinschaftsgarten mit Brunnen für einen Gemüseanbau von Frauen erhalten. Mit diesen Aktivitäten und besonders einem eigenen Einkommen steigen auch Ansehen und Mitbestimmungsrechte der Frauen in der sonst – insbesondere auf dem Land – stark männerdominierten Gesellschaft.

Im Übrigen wurden in drei Dörfern Tiefbrunnen gebort. Damit gibt es dort nun sauberes Wasser, so dass die Menschen nicht mehr unter den häufigen Durchfallerkrankungen durch verunreinigtes Wasser leiden müssen, die für Kinder auch häufig tödlich sind.

Auszahlung von Krediten von pro Person umgerechnet 42 € an 100 Frauen in einem der Projektdörfer. Die Mittel sind dort – je nach Produkt – mindestens 20-mal soviel Wert wie bei uns. (Fotos: I. Sougue, Burkina Faso)
Die komplette Gruppe von Kreditempfängerinnen eines Dorfes winkt zum Dank und Abschied einem der deutschen Spender. Davor fünf Fahrräder, die die Sprecherinnen der Gruppe erstmals in ihrem Leben erhalten haben.

Überwindung der Genitalverstümmelung von Mädchen

In Burkina Faso wurden früher über 70 % der Mädchen an ihren äußeren Geschlechtsorganen beschnitten, d.h. die Klitoris und die kleinen Schamlippen entfernt und das mit Rasierklingen, Messern oder Glasscherben ohne Betäubung. Die Aktion führt bei den meisten Mädchen zu einer Traumatisierung und bei vielen zu Verwachsungen, Narbenwucherungen, Unterleibsschmerzen – später auch beim Geschlechts- verkehr – oder zu Frigidität und manchmal zum Tod durch Verbluten oder infolge von Infektionen.

Diese Genitalverstümmelung der Mädchen ist dort seit 1996 gesetzlich verboten. Dank mehrerer Projekte ausländischer Geber sind inzwischen weitaus weniger Mädchen davon betroffen. Insbesondere in den Dörfern, die keine intensiven Überzeugungsmaßnahmen zur Unterlassung des Eingriffs hatten,  wird dieser aber noch vielfach durchgeführt. Das wird damit begründet, dass die Tradition dies verlange oder die Mädchen „anständige Frauen werden sollen“. Und wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter.

„Lebenschancen“ hat in den Jahren 2010-19 – neben der Sexualaufklärung – auch intensive Informationsmaßnahmen mit Vorträgen, Gesprächskreisen, Hausbesuchen und viel Einsatz von Bildmaterial zur Überwindung der Praktik in Burkina Faso gefördert. Grundlegende Elemente waren dabei Gespräche zur Zustimmung der traditionellen Dorfautoritäten und die Überzeugung von bisherigen Beschneiderinnen, den Eingriff nicht mehr durchzuführen. Da die Beschneiderinnen für ihre nach den traditionellen Werten wichtige „Arbeit“ ein hohes Ansehen genießen, wurde versucht, sie für die Aufklärung zur Unterlassung des Eingriffs zu gewinnen. Sie berichteten dann auch von dem großen Leid, das sie gesehen haben.

Bis 2016 konnten mit den Maßnahmen 35 Dörfer im Nordwesten des Landes, wo die traditionellen Autoritäten der Praktik öffentlich abgeschworen haben,  nach allem Wissen von der grausamen Tradition befreit werden. Anschließend wurde in 15 benachbarten Dörfern mit entsprechenden Maßnahmen begonnen. Hier war man im Herbst 2019 so weit, dass für das nächste Jahr ein öffentliches Abschwören durch die örtlichen Autoritäten vorgesehen werden konnte. Dann gab es in der Projektregion jedoch Anschläge von islamistischen Terroristen, und es gibt weiterhin eine hohe Gefährdungslage. Die Projekte, die gemeinsam mit dem Deutschen Frauenring (DFR) finanziert und betreut wurden, konnten dann nicht mehr fortgesetzt werden, auch um das Personal nicht zu gefährden.

2021 haben wir daher begonnen, entsprechende Projekte der hiesigen Organisation (I)NTACT weiter südlich in Burkina Faso zu unterstützen, die den gleichen intensiven Ansatz haben. Die Projekte werden mit Ko-Finanzierung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) durchgeführt. Das bedeutet, dass für jede Spende der dreifache Betrag aus der Ko-Finanzierung dazu kommt.

Näheres zu den Ergebnissen und Kosten zur Überwindung der Genitalverstümmelung von Mädchen hier.

2018: Eine ehemalige Beschneiderin (2. von rechts) engagiert sich nun bei den Informationen zur Unterlassung des Eingriffs. Sie zeigt ein Bild von großen Narbenwucherungen, die sich oft infolge des Eingriffs bilden. Ganz rechts die Sozialpädagogin des Projekts. (Foto: Ass.F.D., Burkina Faso)
2021: In der neuen Projektregion wird mit ähnlichen Bildern ein Vortrag über die gravierenden Folgen der Mädchenbeschneidung gehalten. Dieser findet im Wartebereich einer Gesundheitsstation statt, was oft die einzige Möglich- keit von Sitzplätzen für eine größere Anzahl Frauen ist. (Foto: (I)NTACT e.V.)